Teil 2
Meiner Erfahrung nach konnte sich Rainer Werner Fassbinder eher über Dinge aufregen die nicht funktionierten oder ungeplant dazwischen kamen als über Akteure beim Theaterspielen oder im Film. Natürlich arbeitete er sehr intensiv mit jedem Schauspieler wobei er mit seinen Stars wohl viel respektvoller und verständnisvoller umging als mit Anderen. Ich habe seine Arbeit immer geschätzt und manchmal auch bewundert. Rainer Werner Fassbinder hat teilweise 3 Filme gleichzeitig geplant und produziert. Als der jeweils aktuelle Film gedreht wurde haben sich parallel in den Drehpausen die Schauspieler für den nächsten Film vorgestellt und dann plante er noch den dritten Film mit allen Details, gab in Auftrag was notwendig war zu organisieren, vorbereiten etc.. Es ist schon enorm drei Filme und mindestens 1-2 Theaterstücke gleichzeitig im Kopf zu haben und zu handeln. Da habe ich viel von ihm gelernt. Es war damals mein Ziel genau diese Weitsicht und Fähigkeit zu erlernen so viele Schritte im voraus denken zu können und zu sehen. Ich denke, ich habe dieses Ziel erreicht.
Zurück zum Theater. Das erste Theaterstück, das ich im Theater am Turm 1974 fotografierte war „Germinal“, Buch von Yaak Karsunke, nach dem Roman von Emile Zola. Schauspieler waren u.a. Volker Spengler, Ursula Strätz, Irm Hermann, Gottfried John, Peter Chatel, Karin Romig u. viele andere. Fassbinders Erfolg nach dieser Premiere war enorm. Für mich eine schöne Zeit zu erleben wie ein kleines Frankfurter Theater das TAT auf einmal Europaweit bekannt wurde. Außer den deutschen Zeitungen waren die skandinavischen und französischen Journale und „Theater Heute“ an Fotos von mir interessiert.
Danach kam des Theaterstück „Fräulein Julie“ im Oktober 1974 mit Rainer Werner Fassbinder, Margit Carstensen und Irm Hermann als Hauptdarsteller. Faszinierend war, wie die Schauspieler in ihren Rollen die Dramatik der menschlichen Gefühle ausdrücken können. Auch dieses Stück war ein Erfolg. Es hatte sich seit Germinal auch schon eine Frankfurter Fan-Gemeinde aufgebaut. Ich war sehr froh dass ich die Gelegenheit hatte in „Fräulein Julie“ Fassbinder auch als Schauspieler, nicht nur als Regisseur fotografieren zu können. Hier ist auch mein Lieblingsbild aus meiner Ära Fassbinder entstanden.
Die Theaterstücke „Die Verbrecher“ und „Onkel Wanja“ waren die nächsten Aufführungen.
„Onkel Wanja“ von Anton Tschechow hatte wieder eine Starbesetzung mit Karl Heinz Böhm, Brigitte Mira, Gottfried John etc.. Ein wunderschönes Bühnenbild von Peter Schulz mit, wie immer, eindrucksvollen Kostümen von Gabriele Henning. Die Kostümbildnerin Gabriele Henning , Peter Schulz der Bühnenbildner und Manuel Diez Rollan, als Leiter des Malersaals, der phantastische Hintergrundmalerein produzierte waren ein gut eingespieltes Team und waren auch lange nach dieser Zeit gemeinsam noch sehr aktiv.
Nach Fassbinders Weggang vom Theater am Turm war ich dort noch weitere anderthalb Jahre der Theaterfotograf.
Während der Schauspielzeit von „Fräulein Julie“ begann meine Zeit als Portraitfotograf. Ich bat Margit Carstensen um ein Portraitshooting wozu sie einwilligte. Während des ca. zweistündigen Portraitshootings wollte ich auf einmal einen ganz bestimmten Gesichtsausdruck von ihr noch einmal fotografieren, den sie vorher schon gezeigt hatte. Ich beschrieb ihr was ich ca. 20 Min vorher wahr genommen hatte und sie war tatsächlich in der Lage genau diesen Gesichtsausdruck zu wiederholen. Ich war von dieser Fähigkeit total beeindruckt; dieses Erlebnis hat mich der Portraitfotografie sehr sehr nahe gebracht. Seitdem beginne ich in Portraithootings bewusst mit meinem Gegenüber zu arbeiten.
Michael Ballhaus der damalige Kameramann von Fassbinder erlebte mit RWF seine ersten großen Erfolge und wurde nach der Fassbinder Zeit ein begehrter Kameramann in Hollywood. In Martha entwickelten sie gemeinsam mit Rainer Werner Fassbinder eine Einstellung, mit der Sie berühmt wurden: eine Kreisfahrt um 360 Grad.
Ich besitze heute noch das original Textskript von Die Stadt, der Tod und der Müll was von einem Juden handelt der in Immobilien agiert. Dieses Stück wurde in Frankfurt nie aufgeführt.
Vor ein paar Jahren habe ich im deutschen Theatermuseum in München zu einer Retrospektive zum 30. Todestag von Rainer Werner Fassbinder beigetragen. Da ich ein sehr gut geführtes Archiv hatte konnte ich zu dieser Ausstellung ca. 30 Fotos beitragen.
Noch heute kommen viele Anfragen zu Fotos von damals und einige dieser Motive sind schon eingescannt und damit bei mir digital verfügbar.