Ich hatte gerade mein Abitur gemacht, da machte mich ein Freund darauf aufmerksam, dass Rainer Werner Fassbinder (RWF) nach Frankfurt an das Theater am Turm (TAT) kam. Mein Freund Wolfgang Kabisch sagte mir: der hat bestimmt noch keinen Fotografen und er braucht ja einen….
Rainer Werner Fassbinder übernahm die Leitung des Theater am Turm und verpflichtete sich als Theatermacher, Schauspieler und Regisseur. Also galt für mich „nix wie hin“ zumal ich schon während meiner Schülerzeit viele Künstler (wie Juliette Gréco, Samy Davis jr., Al Jarreau, Albert Mangelsdorff, David Bowie etc. …) auf den Frankfurter Bühnen fotografiert hatte. Ich war also erfahren und wusste dass ich dies richtig gut konnte. Damals als Schüler verkaufte ich meine Fotos schon an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Neue Presse, Theater Heute etc….
Ich hatte von Fassbinder , als ich noch ein paar Jahre Jünger war, den Film Katzelmacher gesehen aber nicht mehr viel davon in Erinnerung. Also hatte ich ein Problem. Wie sieht denn Rainer Werner Fassbinder überhaupt aus. Im Brockhaus war er noch nicht drin, Computer und Wikipedia gabs noch nicht. Also bin ich ins Besetzungsbüro vom TAT, habe mich dort hingesetzt und auf RWF gewartet. Ich erinnere mich noch genau, ich bin drei mal aufgesprungen und dachte er sei es – Fehlanzeige. Der Dritte war es dann und ich war erleichtert endlich den Richtigen vor mir zu haben. Das Gespräch war kurz und bündig aber am Ende hatte ich wohl den Job. Ob zur Probe oder gleich fest, weiß ich heute nicht mehr. Das Honorar war DM 1.000,- pro Stück inkl. Probenfotos. Die Zeitungshonorare gingen natürlich zusätzlich an mich. Später wurden die Fotos dann auch in ganz Europa veröffentlicht, was meinem Portemonnaie auch gut tat. Doch von DM 1.000,- kann man ja auch nicht so besonders gut leben, immerhin brauchte ich jetzt für das Theater lichtstarke Objektive etc.. Dann kamen die Schauspieler dazu. Als sie sahen wie gut meine Fotos waren begannen sie viele Abzüge für sich zu bestellen. Das führte dazu dass manchmal mein Zusatzverdienst pro Theaterstück auch noch einmal gut und gerne die gleiche Summe wie das Fotografiehonorar für das TAT einbrachte. So konnte ich mich dann ganz gut über Wasser halten. Ich brach mein Studium der Erziehungswissenschaften ab weil ich merkte dass ich da nicht wirklich gut war und es in meinem Fachbereich viel engagiertere und auch bessere Studenten gab.
Ab jetzt also 100% Fotografie und mit voller Kraft voraus.
Es war interessant Rainer Werner Fassbinder im Laufe der Zeit etwas mehr beobachten zu können. Ich lernte viel von seiner Art Dinge anzugehen. Was mich einmal sehr beeindruckte, als ich auf einem Dreh für einen Film, am Set fotografierte (inzwischen war ich auch öfters der Standfotograf bei seinen Filmen) wie er mit Menschen umgehen kann. Die Situation war, er wollte dass ein Laie eine bestimmte Rolle spielen sollte. Der Person fiel es sichtlich schwer den Ausdruck den Fassbinder erwartete, in Sprache und Mimik im Film rüber zu bringen. Als es dann der 13. Take war, hatten alle am Set eigentlich genug, doch RWF gab nicht auf. Er erklärte, versuchte zu vermitteln, gab sich viel Mühe und blieb dran. Länger als ich Geduld gehabt hätte. Heute bei meinen Shootings habe ich diese Geduld auch zur Genüge. Die 16. Einstellung war dann die Richtige. Alle waren erleichtert. Ich lernte dabei wie wichtig kleinste Details sein können um Gefühle und Situationen präzise rüber bringen zu können. Rainer Werner Fassbinder scheute keine Mühe um zum Ziel zu gelangen. Dieser Perfektionismus war im eigen. Meiner Erinnerung nach ist er, als es um die Art mit Menschen zu arbeiten ging, selten laut geworden. Vielmehr war sein Einfühlungsvermögen im Theater und beim Film z.B bei Margit Carstensen, Karl Heinz Böhm oder Brigitte Mira extrem hoch. Ob dieses Verhalten in seiner Ingroup auch immer so war wage ich zu bezweifeln. Ich denke alle seine Theaterstücke und Filme lebten ja von den inneren menschlichen Gefühlen und Prozessen die er ausdrücken wollte. So wie fast jeder Künstler arbeitete er in seinem Schaffen seine eigenen inneren Themen auf.
Bemerkenswert war wie er sich für seine Akteure einsetzte. Einmal, als in Frankfurt, in einem Saal mit ca. 200 Statisten ein Film gedreht wurde und Brigitte Mira einen ca 5 -7 minütigen Monolog sprechen musste war im Raum der Geräuschpegel ziemlich hoch (kein Wunder bei 200 geschwätzigen Statisten). Er stellte sich an Brigitte Miras Podest und sprach zu den Statisten. RWF erklärte Ihnen wie schwierig es für einen Schauspieler sei jeden Tag komplett neue Texte zu lernen, noch dazu in einer solchen Länge, ohne Pause diese 7 Minuten sprechen zu müssen und dass alles an einem Stück gedreht werden müsse. Danach war es mucksmäuschenstill im Raum. Er hatte Brigitte Mira gewürdigt, sie gestärkt, ihr Kraft gegeben und den Raum für ihre Rede geöffnet. Ich glaube, diese Szene wurde nur einmal gedreht. Super!
Es folgt Teil 2 –>